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Abenteuer Ghana - unsere Zeit mit und für AfreakMED

~ Erfahrungsbericht von Sonja Göttle und Doris Priedler ~

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Zugegeben, ein paar Bedenken hatten wir ja schon als wir in den Flieger Richtung Afrika stiegen, zumal das Rückflugdatum fast ein Jahr entfernt lag. Nicht zuletzt waren wir uns nicht sicher bezüglich des Kleidungsstils und des allgemeinen Verhaltens als Frau im muslimischem Teil Ghanas. Doch diese Zweifel verschwanden schnell. Entgegen weitverbreiteter Vorurteile haben wir fast ausschließlich positive Erfahrungen in diesem für uns doch fremden Teil der Welt gemacht. Es wurde uns stets Respekt und Wertschätzung entgegen gebracht. Die Menschen begegneten uns mit einer uns bis dahin unbekannten Gastfreundschaft und Offenheit. Wir fühlten uns nie fremd, sondern immer herzlich willkommen. Wenn wir mal wieder im Nirgendwo standen und nach dem Weg suchten, wurde uns sofort geholfen. Die Menschen kamen auf uns zu und wenn sie nicht weiter wussten wurden noch ein paar mehr dazu gerufen oder bei kürzeren Fußwegen sogar ein Kind als „Wegweiser“ mitgeschickt. So reisten wir auch ohne Reiseführer oder genauen Plan quer durch den westafrikanischen Staat und kamen immer sicher dort an, wo wir hin wollten.

Eines der schönsten Dinge für uns war die Gemeinschaft und das Teilen insbesondere beim Essen. Nach dem Motto: Sharing is caring! Übriggebliebenes Essen wird nicht einfach achtlos weggeworfen, sondern an die ringsum spielenden Kinder verteilt. Diese wiederum teilen alles geschwisterlich. Selbst wenn es sich nur um eine halbe Flasche Cola handelt, wird diese Schluck für Schluck umhergereicht. Es gibt ein wunderschönes Sprichwort: Egal wie klein dein Mahl ausfällt, wenn du es teilst werden alle satt werden.

Die Ghanaer sind im Allgemeinen sehr stolz auf ihr Land und erzählen gern über ihre Kultur. Unsere neuen Freunde nahmen uns bei jeder Gelegenheit zu königlichen Zeremonien und Feiern mit. So durften wir die Dagomba-Traditionen hautnah miterleben. Mittendrin als Zugehörige, wie etwa bei der Inthronisierungsfeier eines „Chiefs“ im benachbarten Bimbilla, wo wir nach mehrmonatigem Tanz-Training als Teil der Culture Dance Truppe auftraten, statt einfach nur als Zaungäste oder Touristen dabei zu sein. Einfach unvergesslich!

Tamale wurde schnell zu unserem Zuhause und wir innerhalb kürzester Zeit Teil einer anderen Kultur und deren Gemeinschaft. Als ein Zeichen dafür erhielten wir von einer Nachbarin unsere Dagbani-Namen, so wurde aus Doris Yilma, was Respekt bedeutet und aus Sonja Nasara, was Erfolg verspricht. Wichtig für das Volk der Dagomba sind die Grußformen und die damit verbundenen Riten. Schnell ging uns das Dasiba („Guten Morgen“) oder Antire („Guten Tag“) wie selbstverständlich über die Lippen. Allein mit wenigen Brocken der lokalen Sprache ließen sich Brücken zu den Menschen schlagen.

Die ghanaische Gastfreundschaft scheint ansteckend zu sein. Voller Herzlichkeit wurden wir von einer uns bis dahin unbekannten Südtiroler Journalistin telefonisch mitten in der Nacht durch das schlafende Tamale gelotst. Völlig selbstverständlich bot sie uns die ersten Tage ein Quartier an und durch ihre Kontakte in der Stadt fanden wir schließlich unsere Herberge sowie das nötige Inventar. Marion wollte eigentlich nur für ein paar Wochen durch das Land reisen, das Afreakmed-Krankenhausbau besuchen und darüber berichten (WIENERIN-Artikel siehe Homepage). Aus dem geplanten Trip wurde ein einjähriger Aufenthalt, und es entstand eine Freundschaft zwischen drei Frauen, die ganz besonders ist und hoffentlich ein Leben lang hält.

In den „Ghanamodus“ reinfinden, sprich einen bzw. mehrere Gänge vom europäischen Tempo runterschalten, kein weit vorausschauendes Planen, stundenlanges geduldiges Warten bei Behörden oder im öffentlichen Straßenverkehr, nur an das „Heute“ denken, waren wohl eine der größten Herausforderungen für uns Weißnasen. Und so hatte die Projektverzögerung auch ihre gute Seite. Wir hatten genügend Zeit, erst mal richtig anzukommen, zurückzuschalten und uns einzuleben. Ursprünglich war ja geplant, dass wir als Krankenschwestern kurz nach unserer Ankunft ab dem Oktober 2011 in der Afreakmed-Klinik mitarbeiten. Doch im Leben kommt es erstens anders und zweitens als man denkt. Das Gebäude befand sich aufgrund der bereits bekannten Verzögerungen noch im Rohbau.

Voller Tatendrang suchten wir uns eine sinnvolle Beschäftigung als „Überbrückung“. Die Arbeit im staatlichen Waisenhaus brachte uns schnell an unsere Grenzen und zeigte uns die Schattenseiten der neuen und liebgewonnenen Heimat. Unvorstellbare Zustände boten sich in diesem Heim. Die Babys lagen den ganzen Tag in ihrem eigenen Dreck, bekamen davon Hautschäden, nach dem Baden mussten wir ihnen dasselbe von Kot und Erbrochenem verschmutzte Gewand anziehen, da es keine frische Kleidung gab. Die Kinder waren teilweise schwerstkrank, hatten Infektionskrankheiten wie Typhus und litten oftmals am Killer Nummer eins Malaria. Die Größeren haben nichts zum Spielen, sitzen auf dem blanken Fliesenboden, weisen Verhaltensstörungen auf. Das Traurige, einem zum Verzweifeln bringende daran ist, dass es sehr wohl Sach- und Geldspenden gibt. Es verschwindet und versickert alles im nirgendwo – Korruption! Wir hatten alles genauestens recherchiert und dokumentiert. Nach vielen schlaflosen Nächte und wochenlangem Kopfzerbrechen darüber, wie wir den Kleinen helfen können, und trotz Einschaltung sämtlicher Kontakte (Politik, Medien, ...) kamen wir schließlich zum Schluss: Wir haben bei den vorherrschenden Machtverhältnissen keine Chance und haben uns zum Eigenschutz zurückgezogen. Mit traurigen Kinderblicken lässt sich viel Geld verdienen, ein schmutziges Geschäft auf Lebens-Kosten der Schwächsten!

Nachdem wir im November erfuhren, dass sich das Fortschreiten des Krankenhausbaus aufgrund der schweren Erkrankung des Vaters des örtlichen Projektleiters weiter verzögerte und zunehmend Schwierigkeiten auftauchten etwa die Verhandlungen mit der Gesundheitsbehörde betreffend wurden wir langsam skeptisch, ob wir die Eröffnung der Krankenstation überhaupt noch miterleben würden. Als wir zusätzlich auch noch von eigenen gesundheitlichen Problemen geschwächt wurden verfielen wir in eine kleine Krise. Doch wir rafften uns wieder auf. Um die Zeit möglichst gut zu nützen und Erfahrungen bei der medizinischen Versorgung zu sammeln, machten wir verschiedene Praktika in Krankenhäusern bzw. -stationen. Am wohl eindrücklichsten war unser Einsatz im Emergency Room im Tamale Teaching Hospital, dem größten Krankenhaus der nördlichen Region mit Anbindung an die medizinischeUniversität. An der Tagesordnung standen schreckliche Verkehrsunfälle mit schwersten Verletzungen wie amputierten Gliedmaßen, Schlangenbisse aber auch Notfälle durch die sogenannten „Wohlstandserkrankungen“ wie diabetisches Koma, Blutdruckentgleisungen und vieles mehr.

Und auch bei unserem ghanaischen Projektarzt Dr. Steve Kpangpari konnten wir im Catholic Hospital in Asankragwua (Western Region) Erfahrungen in der Geburtshilfe sowie im OP sammeln. Unvorstellbar, als während der Operation plötzlich der Stromausfiel und der Anästhesist den Herzrhythmus eben mit dem Fuß mitklopfte, damit der Arzt mit improvisierter Stirnlampe die Operation weiterführen konnte.Eindrücklich waren zudem unsere Dorfvisiten und die Begleitung der Hebammen in entlegene Dörfer. Die Babys wurden dabei mit einfachen Mitteln untersucht, geimpft, an der am Baum befestigten Waage gewogen und im amtlichen Geburtsregister eingetragen. Letztere ehrenvolle Aufgabe wurde meist uns übertragen, was künftig bei so manchen Beantragungen von amtlichen Papieren oder der Ausstellung von Personalausweisen für Verwirrung sorgen könnte. Denn die Namen in Dagomba-Muslimischer Kombination sorgten bei uns für Gehirnzellenakrobatik und Zeit, bei jedem einzelnen bei der Hebamme nachzufragen, blieb bei der Vielzahl der Babys nicht. Die Mütter fielen als Hilfe aufgrund des Analphabetismus zumeist von vornherein aus.

Ein weiteres Projekt haben wir ganz nebenbei ins Leben gerufen. Wir baten einfach die Daheimgebliebenen, uns ausrangierte Kleidung, Spielzeug und Schreibsachen zu schicken. Die Verteilung dieser Geschenke war jedes Mal eine große logistische Herausforderung. Aber wir entwickelten schon bald ein ausgeklügeltes System mit handgeschriebenen Losnummern und einer fixen Aufgabenteilung. Das Highlight waren jeweils die Fußballdresse, die Ghanaer sind große Sportfans. Viele Jugendliche träumen sogar davon, dass ihr Kickertalent irgendwann erkannt wird und sie eine internationale Fußballerkarriere starten können.

Wir hoffen, Euch einen kleinen Eindruck unserer wunderbaren Zeit in Afrika gegeben zu haben und ein Stück unserer Erfahrungen mit Euch geteilt zu haben. Zur endgültigen Inbetriebnahme des Krankenhauses fehlen uns noch ein paar Meilensteine wie etwa die Wasser- und Stromversorgung sowie eine Müllverbrennungsmöglichkeit. Dafür brauchen wir Eure Hilfe und Spenden. Lasst es uns gemeinsam angehen, damit die Menschen in dieser armen Region endlich die dringend benötigte medizinische Versorgung bekommen.

An dieser Stelle möchten wir uns ganz herzlich beim Afreakmed-Obmann Dr. Stefan Bayer bedanken, der uns auch in schwierigen Phasen den Rücken gestärkt und uns immer zur Seite gestanden hat. Deshalb hoffen wir, dass wir Dich Stefan, Afreakmed und dadurch die vielen Menschen in Ghana, auch weiterhin unterstützen können und dass das Krankenhaus bald in Betrieb geht.

Zu guter Letzt möchten wir auch noch unseren Familien, Freunden und allen weiteren Unterstützern, die uns und Afreakmed während der gesamten Zeit über so wunderbar begleitet haben, unsere große Dankbarkeit ausdrücken, ohne Euch wäre das alles nicht möglich gewesen. Auch wenn wir uns bei der Abreise wieder sehr auf unsere Familie und Freunde in Österreich gefreut haben, fiel uns der Abschied mehr als schwer. Aber wir kommen wieder, versprochen! Spätestens zur Eröffnung der Krankenstation.

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~ Sonja Göttle alias Nasara und Doris Priedler alias Yilma ~